Rudi Gutendorf
 

Der Ball ist ein Hund

Süddeutsche Zeitung vom 29.10.1999 


In Gana im Trainingslager vor dem Spiel gegen Senegal, das mit dem "Riegle-System" 1:0 gewonnen wurde.

Mit Antony Yeboah, der von Gutendorf entdeckt und trainiert wurde, als er 17 Jahren  zu seinem Aufgebot gehörte (rechts oben)

 

Höchste Auszeichnung in Fiji (100 Jahre alter Walzahn)

 

Juni 1968: Rudi Gutendorf mit Pele. Für Rudi der größte Fußballer und Mensch.

 

Die Mannschaft des HSV 1977/78 (mit Buljan, Kaltz, Kargus, Nogly, Magath, Keegan, Steffenhagen,... sowie Cheftrainer Rudi Gutendorf)

 

Unter Pinien als Cheftrainer bei Real Valladolid (Spanische Profiliga)

 

Rudi Gutendorf mit seinem Assistent Gilbson Homella bejubeln gemeinsam den 4:1 Sieg gegen Kamerun

 

 

 

Über das Buch "Der Ball ist ein Hund". Es erschein Ende 2001 im Verlag "Die Werkstatt":

Werner Herzogs Sohn Rudolph hat einen Dokumentarfilm über den tingelnden Trainer Rudi Gutendorf gedreht

Die Launen Kinskis und der Zorn Gottes standen Werner Herzog noch bevor, als ihn Alberto Gallardo schwindlig lief. Die unheimliche Begegnung ereignete sich auf dem Trainingsplatz des perunanischen Fußballklubs Cristal Lima, und sie dauerte nur eine knappe Viertelstunde: Danach war Herzog schleckt. Der junge Regisseur aus Bayern, damals noch frische 29, hatte zwar seine Erfahrungen von Schwarzgelb München mitgebracht, doch das reichte nicht ganz gegen Nationalspieler Gallardo, der die 100 Meter in 10,4 Sekunden zurücklegte und als bester Linksaußen Südamerikas galt. Entsprechend zügig verlor der Hobbykicker aus Alemania Puste und Orientierung. „Der arme Kerl“, berichtete sein Sohn Rudolph, „wusste nicht mehr, in welche Richtung gespielt wurde.

Kinski und Rahn

Die Episode kennt Rudolph Herzog bestens, obwohl er 1971 noch gar nicht auf der Welt war und von der Kickerei weitaus weniger begeistert ist als sein Vater. Werner Herzog hat ihm oft genug davon erzählt – und vor allem derjenige, der ihn spaßeshalber dem flinken Gallardo ausgeliefert hatte: Rudi Gutendorf, seinerzeit Übungsleiter hinter den Anden, war der Landsmann bei einem  Empfang in der deutschen Botschaft vorgestellt worden, da wollte er ihm ein bisschen Spaß gönnen. Nun hat Rudolph Herzog diese und andere Geschichten einem 44 Minuten langem Videoband anvertraut, und so erfahren Interessenten, was er mit der Freundschaft Gutendorf/Herzog auf sich hat, wie Klaus Kinski den einen zum Wahnsinn trieb und Helmut Rahn den anderen, und weshalb Fußballlehrer und Filmemacher gar nicht so verschieden sind. Der Ball ist ein Sauhund heißt das Werk – das erfuhr bei der vergeblichen Verfolgung Gallardos so ähnlich auch Werner Herzog.

Junior Rudolph gelangte auf diese Weise in die Weise in die Welt der Regisseure, mit denen er zuvor nur am Rande zu tun hatte. „Ich bin eigentlich Zauberkünstler“, berichtet Rudolph Herzog, geboren 1973, wohnhaft in London. Das Debüt als Dokumentarfilmer, bei dem ihm außer Vater Werner auch Christian Weisenborn zur Seite stand, ist heute erstmals auf den Hofer Filmtagen zu besichtigen, und bald soll das Werk im Fernsehen landen. Ein Sendeplatz müsste aufzutreiben sein, dessen ist sich Gutendorf sicher, der unter dem Titel Ich bin ein bunter Hund schon vor zwölf Jahren seine Memoiren diktiert hat. So ein Film, sagt er, sei schließlich noch nie dagewesen.

Vermutlich war so ein Leben noch nie da, auch wenn man das vor lauter Hitzfeld und Basler und Champions League vergisst. Mit 54 Arbeitsplätzen als Fußballtrainer hat Rudi Gutendorf, 73, längst das Guiness-Buch der Rekorde erobert, aber das ist bloß die Statistik seiner Karriere als Missionar für Abwehrtaktik, die ihm den Künstlernamen „Riegel-Rudi“ bescherte. Als Inhaber der DFB-Lizenz 330, erworben bei Sepp Herberger, tingelte er auch durch die Bundesliga, doch gefragter war seine eigenwillige Lehre jenseits von Schalke und dem HSV, wo er einst Kevin Keegan einführte. „Machenses jut, Herr Jutendorf“, empfahl Konrad Adenauer, als Entwicklungshelfer Gutendorf 1960 nach Monastir aufbrach, zum Lieblinsverein von Tunesiens Präsident Bourguiba, „sonst holen die einen aus der Soffjetzone.“ Er machte es gut, meistens jedenfalls.

Rudi rastlos

Gutendorf fahndete nach Talenten auf Jamaika, übte im Garten des Königs von Tonga und führte die Balltreter der Findschi-Inseln ins Südsee-Finale, wo sie den Linienrichter verprügelten. Er gründete die Nationalmannschaft von Botswana, entdeckte in Ghana ein malariakrankes Talent namens Anthony Yeboah und gewann mit dem kleinen Nepal gegen das große Indien.  Er war Trainer des Jahres in Australien, wurde im Iran als Ungeläubiger gefeuert und betreut demnächst die Krisenrepublik Ruanda. Er dozierte in China und Japan und auf Mauritius. Und er erleichterte Chronist Herzog die ungewohnte Arbeit, „weil ich wusste, wie wahnsinnig toll der Rudi erzählen kann“. Noch immer schildert der rastlose Rudi recht schmuckvoll, wie er in Tansania die Geister der Kicker-Ahnen beruhigte und von Pinochets Putsch in Chile einen Streifschuss im Bett abbekam, weil er den Sozialisten Allende zu seinen Freunden zählte (er besitzt von ihm noch einen Revolver). Er erläutert, wie er den trinkfreudigen Spielern von Cristal Lima preußische Disziplin beibrachte, indem er vor dem Training sein Heimatlied „Oh du schöner Westerwald“ absingen ließ.

„Er“, sagt Rudolph Herzog, „ist die Hauptfigur.“ Gefilmt wurde das stille Stück aus Gesprächen und Archivbildern ohne großen Aufwand am Alten Telegraph in Neustadt-Manroth, wo der Weltreisende zuhause ist. Die Stichworte gibt Werner Herzog, und so sie es „auch die Chronik einer Freundschaft geworden“.

Also, wie war das gleich, mit Kinski im peruanischen Urwald? Werner Herzog hatte ihn mitgenommen zu den Dreharbeiten von Aguirre, der Zorn Gottes, seinem Erstling, und so erlebte der Fußballtrainer die Anfälle des Hauptdarstellers, der später Herzogs liebster Feind wurde. Als der Genius mit dem wirren Blick den Rauswurf des Toningenieurs forderte, weil dieser während eines Sets zu lächeln gewagt hatte, stand eine Tragödie bevor: „Mit euch Jungfilmern hab’ ich keine Lust“, soll Kinski gebrüllt und sein umfangreiches Gepäck samt vietnamesischer Gattin gepackt haben; du kannst mit deinem Ausputzer Kopfbälle trainieren, klingt bestimmt ganz schön hohl“ (gemeint war Gutendorf).Woraufhin Herzog das Gewehr vom Floß holte und entschlossen bekannt gab, er werde zuerst Kinski eine Kugel in den Kopf jagen und dann sich selbst, falls das teure Projekt sterben sollte. „Der wollte Kinski erschießen“, berichtet Gutendorf, „der war verzweifelt.“

Ein Bier, ein Tor

Notfalls ist den Stars halt nur noch mit Drohungen beizukommen, das weiß Gutendorf ja auch. Er hatte es beispielsweise 1963 beim Meidericher SV, nachmals MSV Duisburg, mit Helmut Rahn zu tun, dem WM-Helden von 1954, der sich am liebsten an der Theke aufhielt. Der Trainer versuchtre ihn mit morgendlichen Ausflügen auf Dinslakens Trabrennbahn zu domestizieren, doch als er ihn in der Nacht vor dem Spiel trotzdem in bierseliger Runde ertappte, kündigte er dem Torschützen von Bern den Rauswurf an. Bis Rahn versprach, das Siegtor gegen den 1. FC Köln zu schießen, was er dann auch tat, worauf der MSV Meisterschaftszweiter wurde. Kinski, Rahn – „Duplizitäten sind das“ findet Gutendorf, und überhaupt habe er auf der Trainerbank so manches gemein mit dem Mann im Regiestuhl, zumal mit Herzog, „der war genauso fanatisch wie ich“. Also, der Ball ist ein Sauhund, wie er manchmal ins Netz springt und manchmal die Linie entlangrollt, und die Kamera auch, weil die Szene sitzt oder nicht.

Wie die Sache mit Gallardo ausging? „Nach 15 Minuten verließ er das Feld und erbrach sich für den Rest der Spielzeit in einem Gebüsch“, steht in Herzogs Exposée. Gutendorf kennt botanische Details: „Der hat in den Orleander gekotzt.“