Rudi Gutendorf
 

Der bunte Vogel fliegt weiter

FAZ vom 30.8.2001 

 

Rudi Gutendorf aktiv in der Rheinlandauswahl (5 v. l.)

 

Rudi als Cheftrainer bei Schalke 04

 

16.9.1976: Rudi Gutendorf demonstriert wie seine Mannschaft am Samstag gegen den 1. FC  Köln kämpfen will. Seine Devise: "Kein Schützenfest auf eigenem Platz.

 

 

Einen Grund zum Jubeln sieht Rudi Gutendorf in seinem heutigen 75. Geburtstag nicht. Aber einen Anlass, „dankbar zu sein, dass ich gesund aus den gefährlichsten Ecken der Welt herausgekommen bin“. Dem weitgereisten Fußballtrainer wäre es freilich lieber, so jung zu sein, wie er sich fühlt. Dann würden, so meint er, auch noch die Angebote aus der Bundesliga kommen, die er immer noch am liebsten hätte. „Doch jetzt ist es nicht mehr die große Oper. Und wenn man nicht hat, was man liebt, dann muss man lieben, was man hat.“ So betreut er regelmäßig die Prominentelf der Toto-Lotto-Gesellschaft Rheinland-Pfalz, die am Freitag in Erbes-Büdesheim bei Alzey gegen eine Regional-Auswahl antritt. „Da werde ich am Abend mit Lothar Emmerich, Wolfgang Overath und Uli Stein ein oder zwei Fläschchen aufmachen.“ Zur Zeit führt er ein bürgerliches Leben, bewohnt mit seiner australischen Frau und seinem elfjährigen Sohn in der Nähe von Neustadt/Wied eine mitten im Wald gelegene ehemalige Telegrafenstation. Doch immer wieder plagt „Rudi Rastlos“ da Fernweh. „Gerade habe ich ein Angebot aus Samoa bekommen. Das muss ich erst einmal zurückstellen. Denn die Schule von Fabian hat Vorrang. Aber nächstes Jahr werde ich ein paar Monate dorthin gehen.“

Der gebürtige Koblenzer, der für TuS Neuendorf meist als Rechtsaussen 86 Oberligaspiele bestritten hat, gilt als Weltreisender in Sachen Fußball. Erst einmal verdiente er sich jedoch in Deutschland seine Sporen, führte zum Beispiel 1963 im ersten Bundesligajahr den Meidericher Spielverein, den späteren MSV Duisburg, auf den zweiten Platz. Für seine Defensivtaktik wurde er „Riegel-Rudi“ genannt. Ein Mann, dessen ausgefallene Trainingsmethoden mehr belächelt denn bewundert wurden. Die Schalker Spieler, mit denen er 1969 das Pokalendspiel (1:2 gegen Bayern München) erreichte, ließ er zum Beispiel frühmorgens aus Solidarität mit den Kumpels vor einem Zechentor trainieren. 

Zwischen seinen deutschen Trainerstationen bem VfB Stuttgart, bei Kickers Offenbach, dem Hamburger Sportverein oder Tennis Borussia Berlin, auf denen ihm meist nur kurzzeitiger Erfolg beschieden war, zog es ihn verstärkt ins Ausland. Er führte Cristal Lima zum peruanischen Pokalsieg und setzte dort einmal den Regisseur Werner Herzog für eine Viertelstunde als Verteidige ein, der ihn daraufhin mit zu Dreharbeiten in den Dschungel nahm. Das war der Beginn einer dauerhaften Freundschaft. Unter Salvador Allende war er in Chile Nationaltrainer und flog 1973 gemeinsam mit dem deutschen Botschafter mit der letzten Lufthansa-Maschine vor dem Militärputsch aus.

Zwischen 1978 und 1985 führte er als Entwicklungshelfer im Auftrag des Internationalen Fußball-Verbandes, des Deutschen Fußball-Bundes und des Nationalen Olympischen Komitees das Leben eines Fußball-Globetrotters. In dieser Zeit war er Nationaltrainer in Australien, in Neukaledonien, auf den Fidschi- und auf den Tonga-Inseln, in Nepal, auf Samoa und in Tansania. Beim FC Yomuri, den er zweimal zur japanischen Meisterschaft führte, erhielt Gutendorf 50.000 Mark im Monat und behauptete damals, er sei der „teuerste Trainer der Welt“. In Nepal wurde der Koblenzer, der Englisch, Französisch, Spanisch und etwas Suaheli spr8icht,  nach dem ersten Sieg über Indien „mit Kunstschätzen überhäuft“. Nach einem Überraschungserfolg über Neuseeland „habe ich vom Ministerpräsidenten von Samoa einen 110 Jahre alten Walfischzahn bekommen. So einen haben außer mir nur Königin Elisabeth und der Papst gekriegt.“ Der Weg des Weltreisenden in Sachen Fußball ist mit Anekdoten gepflastert. Und die breitet er zusammen mit Zeitungsartikeln und Statistiken von seinem Wirken genüsslich vor den Journalisten aus, auf dass der bunte Vogel Gutendorf in den Medien weiterfliegt.

Im vergangenen Jahr bezog er seinen 54. Trainerposten und betreute in Ruanda die Nationalmannschaft, die aus Spielern der verfeindeten Hutu und Tutsi bestand. „Als ich erlebt habe, wie Hutu und Tutsi sich nach Toren umarmt haben, da sind mir die Tränen gekommen“, erzählt Rudi Gutendorf und schwört seitdem erst recht auf die versöhnende Kraft des Fußballs. Sein internationales Wirken hat auch Bundeskanzler Schröder erkannt und in einem Glückwunschschreiben Gutendorf  als einen vorzüglichen Botschafter unseres Landes“ gewürdigt. Doch „Rudi Rastlos“ träumt schon seinen nächsten Traum: „Einmal die Palästinenser trainieren und damit etwas für die Ärmsten der Armen tun.“