Rudi Gutendorf

 

Rudi Internazionale

Süddeutsche Zeitung Magazin

Foto aus 3Sat

 

In Peking: Trainer der chinesischen Nationalmannschaft und hier bei einem Lehrgang für chinesische Trainer

 

Mit Werner Herzog und Klaus Kinski im brasilianischen Urwald bei Dreharbeiten zum Film "Aquirre, der Zorn Gottes"

 

Hier zum gleichen Film mit Klaus Kinski

 

Titelblatt von Chinas größtem Magazin. Nach dem Sieg gegen Nordkorea mit 1:0 in Peking (u.r.).

Durchgeschwitzt als Nationaltrainer in China

 

1999: Anweisungen an das chinesische Nationalteam

 

1965: Rudi, Trainer beim MSV Meiderich) beruhigt M. Manglitz)

 

Cheftrainer des VFB Stuttgart

 

Bei den Borussen aus Berlin: Damaliges Ziel: Nur nicht absteigen

 

Die Australische Nationalmannschaft in Aktion unter der Leitung von Rudi Gutendorf

 

Der Buchtitelbild seines Buches: "Ein bunter Hund"

 

Nach dem Gewinn der Oceanien- Meisterschaft

 

jüngster Trainer der 1. Bundesliga (2.v.l)

 

Deutsche Vizemeisterschaft mit dem Meidericher SV

 

 

 

Kein Trainer hat in so vielen Ländern gearbeitet wie Rudi Gutendorf. Nach 37 Jahren und fünfzig Stationen im Ausland kehrt er jetzt zurück. Doch Riegel-Rudi passt nicht mehr in die moderne deutsche Fußballwelt.

An einem verregneten Frühlingstag kann die Koblenzer Rhein-Halbinsel ein ziemlich trister Ort sein. Aus der Eifel kommend, zieht das schlechte Wetter über das Stadion am Oberwerth, und das Mittagslicht zeigt sich nur verhüllt. Rudi Gutendodrf hat auf der verlassenen Tribüne den Reißverschluß seiner Lederjacke hochgezogen, sein Gesicht, gebräunt auf fünf Kontinenten, ist in der kalten Luft gerötet, die selbsttönenden Brillengläser beschlagen in der goldenen Fassung. Er ist an ein wärmeres Ambiente gewöhnt, der reiselustigste Fußballtrainer der Welt : glitzernde Sonnenuntergänge vor den Fisschiinseln, 70 000 feiernde Afrikaner in der dumpfen Hitze von Ghana, Freudenfeuer in Nepal. Doch nach einem halben Jahrhundert ist er wieder dort gelandet, wo er herkommt. „Das ist der Ausgangspunkt“, sagt der neue Sportdirektor des TuS Koblenz. Hier begann seine große Reise. Und vielleicht geht sie hier auch zu Ende.

Hätte sich sein Lebenslauf linear fortgesetzt, wäre Rudi Gutendorf jetzt in der Mongolei. Von dort kam die letzte Anfrage nach der Heimkehr aus Zimbabwe, dessen Auswahl er bis vor einem Jahr betreut hat. Aber er wollte nicht. Statt nach Ulan Bator zog Deutschlands Diplomat im Trainingsanzug in einen Ort namens Neustadt-Manroth, um mit gewisser Verspätung das Familienleben zu proben und nebenbei den Heimatverein zu retten. Bloß noch drei Mann sind übrig aus den ruhmreichen Zeiten, als der Klub TuS Neuendorf hieß, mit Rechtsaußen Gutendorf vor 29 000 Zuschauern gegen Fritz Walters 1. FC Kaiserslautern antrat und bis ins Halbfinale der dritten Nachkriegsmeisterschaft stürmte; zuletzt starb sein Bruder Werner, der Torwart. Wer also soll die Nachfolger sonst vor dem Abstieg aus der viertklassigen Verbandsliga bewahren?

Im Sommer wird Rudi Gutendorf 71. Er ist groß, schlank und lächelt freundlich; er wirkt ein bisschen jünger, obwohl sich Falten in die Wangen gegraben haben und die blonden Haarsträhnen silbrig glänzen. Trotzdem könnte man auf die Idee kommen, es sei höchste Zeit geworden, die Hatz zuwischen Luzern und La Paz, Stuttgart und Sansibar zu beenden. Aber sein Alter hat ihn noch nie gebremst. Das Motiv für die Rückkehr sind eher ein Knirps mit Sommersprossen um die Nase, der aussieht wie sein Enkel, und eine Frau, die leicht seine Tochter sein könnte. Sohn Fabian, 6, und seine zweite Gattin Marika, 34, sind in Sydney geboren, wo er mit 65 zu Australiens Trainer des Jahre ernannt wurde und ein Haus am Meer besitzt. Statt nach Flugplänen richtet sich Rudi Rastlos zumindest vorübergehend nach den Schulferien von Rheinland-Pfalz, weil sein Sprößling dort die erste Klasse besucht. Vorläufig folgt die Erziehung einer bisweilen ungewöhnlichen Wortwahl: „Mach nich so viel Noise, Fabi“ schimpft Gutendorf sanft, worauf sich manche Leute umdrehen, obwohl ihn wenige erkennen.

 Bisher hat ihn alles gestört, das ihn hätte aufhalten können. Jetzt – im fortgeschrittenen Rentenalter – sagt er: „Der Kleine ist das Erlebnis meines Lebens.“ Auch wenn der Kleine einen viel zu großen Schal des FC Bayern um den Hals schlingt und sich wundert, weshalb der 53. Arbeitsplatz seines Vaters so seltsam unspektakulär ausfällt. „Papa“, erkundigte er sich neulich, „ich dachte, du bist ein großer Trainer.“ – „Der verarscht mich“, sagt Gutendorf vergnügt. Dann erzählt er, dass sie im Garten Fußball spielen und er dem Kleinen abends aus Büchern vorliest. Kindergeschichten, nicht solche, die vom großen Trainer handeln, den Könige und Staatspräsidenten hofierten.

Auf einer entlegenen Anhöhe im Westerwald hat Gutendorf eine 180 Jahre alte Telegraphenstation erstanden, über die einst Nachrichten von Berlin bis Koblenz weitergegeben wurden. Das umgebaute Haus hat jetzt die Bedeutung übernommen, die früher internationale Luxushotels für ihn hatten, außerdem dient die Station als etwas ungeordnetes Museum. Im Erdgeschoß baumelt sein Liebelinswimpel, der des TuS Neuendorf; neben der Tür hängt der geschnitzte Türrahmen aus dem 14. Jahrhundert, den ihm 1983 in Katmandu der Bruder des Königs überreicht hatte; an die Wand hat er ein farbiges Familienphoto aus Mauritus genagelt, wo sich 1993 nach einer Zeitungsumfrage 74,22 Prozent der Leser einen deutschen Trainer gewünscht hatten. Auf Heizung und Regal stehen allerlei Skulpturen aus Asien, Afrika, Südamerika, Ozeanien.

Der ewige Sammler bräuchte einen Archivar, aber das Durcheinander passt zu seinem Leben. Er ertrinkt fast in all den Plakaten, Zeitungsausschnitten, Photos: Gutendorf mit Sepp Herberger, dem Chef der Weltmeister von 1954, bei dem er die Trainerlizenz Nummer 330 erwarb; Gutendorf mit Pelé, dessen FC Santos er in den sechziger Jahren in St. Lous bezwang; Gutendorf mit dem dicken König von Tonga, dessen Garten er zum Übungsplatz freimähte. Aus seinem Büro schleppt er eine Plastiktüre voll abgegriffener Papiere ins Wohnzimmer. Heraus fällt ein Schreiben vom 1. Dezember 1981, das den Botschafter der Bundesrepublik in Daressalam als Absender auswiest. Es endet mit dem Satz: „Ihr Einsatz hat den deutsch-tansanischen Sportbeziehungen neue Impulse gegeben.“

1960 im Gang des Auswärtigen Amtes in Bonn. CDU-Mitglied Gutendorf hat soeben die letzten Instruktionen für die außereuropäische Premiere eines deutschen Fußball-Lehrers in Empfang genommen, da läuft er Konrad Adenauer in die Arme: „Machen S’es jut, Herr Jutendorf“, sagt der Bundeskanzler, „sonst nehmen die einen aus der Soffjetzone.“ Adenauer ahnt nicht, zu welch ausgedehnter Mission sein schmächtiges Gegenüber aufbricht.

Tunesien, der erste Härtetest. Der 34jährige Gutendorf, mit dem FC Luzern Schweizer Pokalsieger geworden, soll US Monastir in Schwung bringen, den Lieblingsklub von Staatschef Bourgiba. Das Projekt wird zwar auch dadurch erschwert, dass seine Spieler gelegentlich verschwinden, um beim algerischen Unabhängigkeitskrieg mitzumachen. Doch bald besitzt der fröhliche Entwicklungshelfer ein Rennkamel, logiert in der ehemaligen Residenz seines Landesmannes Rommel und erfreut sich an exotischen Sitten. Seiner grenzenlosen Neugierde hilft ihm auch dabei, die berüchtigte Taktik zu entdecken, der er den Spitznamen „Riegel-Rudi“ verdankt. Das grobe Vorbild lieferte angeblich en Medizinmann im Dschungel Zentralafrikas, der alle Mann stürmen lässt und alle verteidigen.

Irgendwo fand sich seither immer ein ausgefallener Platz für den unerschrockenen Paradiesvogel, der beim Finanzamt als „Künstler und Artist“ geführt wird. Im Auftrag von Fußballverband, Olympischem Komitee und Bundesregierung probte Gutendorf in den USA uns sichtete auf Trinidad Talente; Gewann mit Cristal Lima den peruanischen Pokal und verlor mit den Fidschiinseln auf Samoa gegen Tahiti. Oft für eine Menge Geld, manchmal für ein mittleres Beamtengehalt. Lange blieb er nirgends. Ein paar Monate hier, ein Jahr dort. „Excitement und Leidenschaf kann man nicht konservieren“ findet Gutendorf. Als Trainer sei er Kurzstreckenläufer.

Wer ständig weiterzieht, sucht meist etwas, und mitunter wird die Suche zur Manie. Zur Sucht. Womöglich wäre Rudi Gutendorf weniger umtriebig gewesen, hätte er sich zu  Hause dauerhaft beweisen dürfen. Auffallen wollte er immer, deshalb hat er damals in Kobelenz stundenlang Flanken geübt und sich abends auf seine Harley-Davidson geschwungen, die erste der Stadt. „Wir waren die Könige“, sagt er strahlend, „wir sind alle größenwahnsinnig geworden. Irgend etwas Besonderes sollte es sein, auch Später. Wenn nicht hier, dann woanders, getrieben von unerschütterlichem Selbstvertrauen.

Noch heute erzählt er aufgeregt die frühen Abenteuer aus der Bundesliga, obwohl die in seine Vita fast untergehen. Gutendorf habt die Stimme, wenn er vom Meidericher SV und Stürmer Helmut Rahn spricht, die er bei seinem Debüt 1964 auf Platz zwei dirigierte – als jüngster Übungsleiter mit 1500 Mark Monatsgehalt. Und Schalke erst, seine große Liebe Entzückt erinnert er daran, wie er seine Profis um Kapitän Lubuda 1970 hinter dem Sulky über Gelsenkirchen Trabrennbahn joggen ließ und im tiefsten Winter morgens um sechs vor die Zeche, um den Kumpels zu zeigen: „Wir sind auch Arbeiter.“ Dass der abstiegsgefährdete Klub auf diese Wiese bis ins Europacup-Halbfinale vordrang, hält er immer noch für eine „Weltspitzenleistung, viel größer als Bayern und Trapattoni.“

Doch irgendwann ließ die Begeisterung für den eigenwilligen Pädagogen nach. Den Hamburger SV sollte er zwar 1977 mit dem Engländer Kevin Keegan zum weltbesten Klub machen; nach drei Monaten allerdings musste er gehen, weil sein Personal rebellierte. Vielleicht hat ihm das einen Herzinfarkt erspart, aber der Rauswurf verfolgt ihn bis heute: „Ich war der Toptrainer und bin so auf den Arsch gefallen.“ Ein kurzen Auftritt noch zehn Jahre später in Berlin, das war’s dann in Deutschland.

Anderswo kam Riegel-Rudis Lehre noch an, als sie zu Hause bereits als Kuriosum galt. Gelegentlich halfen klein Zaubertricks. In Nepal haben sie die Langnase verehrt wie einen Heiligen, als dem kleinen Land im strömenden Regen der erste Sieg gegen das große Indien gelungen war – er hatte seinen Kicker zur Pause rutschfeste Stolen verpasst. In Tokio, sagt er, „war ich der Herrgott“, ein hochbezahlter obendrein, wozu die Kopfballtore eines 1,94 Mete langen Schotten beitrugen. Wenn sie Gutendorf verjagten, dann waren im Zweifel Religion oder hohe Politik im Spiel. Im Iran wollten die Mullahs plötzlich keinen Ungläubigen mehr; in China löste ihn ein Parteifunktionär ab. Immerhin genügt der Abstecher nach Peking für den Eintrag ins Guinness-Buch: 50. Station, Weltrekord.

Unter Bescheidenheit litt Rudi Gutendorf noch nie, und in der High Society fand er sich bestens zurecht. Doch am liebsten gibt er den Philosophen, der die Welt kennt. Eine seiner Lieblingsformulierungen ist die vom „Atemholen der Seele“. An seiner Schreibmaschine entstanden Erkenntnisse wie diese: „Kolonialdenken ist obsolet. Wer den Einheimischen in der Dritten Welt mit Arroganz entgegentreten wollte, ist hier fehl am Platz und bald entlarvt.“

Botswana, 1976. Die junge Nation erreicht Spezialist Gutendorf mit dem Auftrag, zum zehnten Jahrestag der Unabhängigkeit ein Nationalteam zu gründen. Eine Ehre, die mit der unangenehmen Pflicht beginnt, 25 Mann auszuwählen aus den vierzig Kandidaten, die ihn auf einem staubigen Acker in der Hauptstadt Gabarone erwarten. Das Ergebnis ist ein Erfolg: „Wenn ihr kämpft wie eure großen Krieger, sind wir unschlagbar“, verkündet der Experte aus Germany vor dem Anpfiff; daraufhin gelingt ein 1:1 gegen Sambia, das in ein Volksfests mündet. Zur Belohnung bietet ihm die Regierung eine Jagdgenehmigung für Leoparden und Elefanten an, die Gutendorf höflich ablehnt. Vor allem beschaftgen ihn die 15 Pechvögel, die in den sumpfigen Urwald zurück mussten. „Wie ein Todesurteil“, sagt Gutendorf. Er blickt noch heute betoffen drein.

Dramatischer nachzulesen sind solche Episoden in seinem Memoiren, die er bereits vor zehn Jahren aufschreiben ließ. Ich bin ein bunter Hund heißt das Buch, das damals gegen ein sattes Honorar als Vorabdruck in der Bild-Zeitung erschien, weshalb vor allem die Passagen mit weiblicher Besetzung leicht verschärft wurden. Zwischen den Kapiteln über Voodoo-Zauber in Tansania oder Filmaufnahmen mit Klaus Kinski am Amazonas findet sich auch ein Beitrag über seine Engagement in Chile, das kurz vor dem Militärputsch 1973 endete. Dort zählt der Trainer den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende zu seinen Freunden und entkam nur knapp einem Mordanschlag; Gutendorfs Geliebte fiel ihm zum Opfer. Wer’s nicht glaubt: In einer Schublade im Arbeiszimmer liegt der Revolver, den ihm Allende geschenkt hatte; und auf Nachfrage zeigt Gutendorf seine Nabe an der Unterlippe – der Streifschuss aus Santiago.

Das zweite Werk soll auch bald fertig sein. Er will es nach Suaheli-Art Hakuna matete nennen, was laut Verfasser soviel bedeutet wie :“Kein Problem.“ Obwohl das , strenggenommen, nicht stimmt, den ein Problem gibt es schon: Ihm fehlt ein geeigneter Schluss. Die Sportschau-Videos ließ er sich bis in die Südsee nachschicken, jetzt lobt er die bunte Fußball-Show im Privatfernsehen. Doch er, der Held von Katmandu und Gabarone, kommt darin längst nicht mehr vor, und es fällt ihm schwer, das zu verstehen.

Manchmal hofft er, es möge noch mal das Telephon klingeln und ein mutiger Präsident aus Schalke oder Duisburg um seinen Dienste bitten. „Ich möchte’ mal wieder einen Löwen reißen“, sagt Gutendorf; soll heißen: ganz groß rauskommen. In diesen Momenten setzt wieder die Wandlung ein vom glücklichen Papa zum ehrgeizigen Trainer. Er gestikuliert, wird fast zornig, wenn er darüber nachdenkt: „Die Jugend wird überschätzt. Ich bin besser als vor zwanzig Jahren.“ Aber er weiß selbst: „Das glaubt mir keiner.“

Also Koblenz. Zum Präsidenten wollten sie ihn dort nicht wählen, da ist er eben Sportdirektor geworden. „Ich bin der Boss“, sagt er, „der Trainer untersteht mir.“ Den örtlichen Dialekt beherrsch er noch – zu Versammlungen ruft er standesgemäß ins „Weindorf“ in dem er schon vor fünfzig Jahren saß. Einen Ex-Erstligaprofi hat er dem Team besorgt, und für den Klassenerhalt verspricht er 20 000 Mark, persönlich gesammelt. „Dann marschieren die für mich“ sagt er. Das soll der Vorstand Augen machen.

Der Weltmann, zurück auf dem Oberwerth. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich hier zufrieden bin“, verkündet Gutendorf, als er sein Mercedes durch den nebelverhangenen Westerwald steuert. Dann sagt er, dass von seine Telegraphenstation bis zum Flughafen Köln-Bonn nur 25 Minuten zu fahren seien. Und dass er auf den Fidschiinseln immer bebraucht werde. Er müsse bloß ins Flugzeug steigen.